An den Kundeninteressen orientierte Änderungen der Unternehmensziele in den Satzungen der Deutschen Bahn können, auch ohne die kontrovers diskutierte Trennung von Netz und Betrieb, einen wichtigen Beitrag für mehr Verkehr auf der Schiene leisten. Konkrete Formulierungsvorschläge dafür hat heute der Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Thomas Ehrmann von der Universität Münster in Berlin vorgestellt. Der Auftraggeber, das Netzwerk Europäischer Eisenbahnen (NEE) e.V., sieht darin nach den Worten des Vorstandsvorsitzenden Ludolf Kerkeling „ein wichtiges Instrument, um einige kapitale Grundfehler der Bahnreform zu korrigieren.“

Bereits vor mehr als zwei Jahren wurde auf Betreiben der SPD im Koalitionsvertrag vereinbart, „volkswirtschaftliche Ziele wie die Steigerung des Marktanteils der Schiene“ in den Satzungen des DB-Konzerns und seiner Infrastrukturtöchter zu verankern und künftig das DB-Management daran zu messen. Kerkeling: „Geschehen ist aber leider noch nichts. Die Idee einer weiteren Kapitalspritze, ambitionierte Wachstumsziele der gesamten Eisenbahnbranche sowie die langsam näher rückenden Wahlen in Bund und acht Ländern bis Ende 2021 erfordern jetzt die Präzisierung der Zielsysteme von Bund und DB.“

Ehrmann habe in seiner Analyse die heutigen Fehlanreize gut herausgearbeitet, mit denen nicht zuletzt der DB-Eigentümer Bund ausgerechnet den DB-Infrastrukturtöchtern (Netz, Bahnhöfe, Bahnstromnetz) per Unternehmenssatzung, politischem Wink und vor allem regelmäßiger Dividenden-Pflicht faktisch unvereinbare Zielvorgaben mache. Es sei „kein Wunder, dass sich die Manager solcher Unternehmen möglichst abschotten und defensiv agieren, um nicht zwischen allen möglichen Interessen zerrieben zu werden.“

Kern des Vorschlags von Ehrmann ist daher auch die Präzisierung der Unternehmensziele bei der DB Netz AG, die sich in ihrer „monopolistischen“ Stellung als essenzieller Vorlieferant für alle Eisenbahnverkehrsunternehmen innerhalb wie außerhalb des DB-Konzerns nicht kundenorientiert und effizient genug verhalte. Ehrmann: „Die Eisenbahnen in Deutschland benötigen einen innovativen, kundenorientierten und auf Wachstum gepolten Schieneninfrastruktur-Dienstleister, da hat die SPD den Finger völlig richtig in die Wunde gelegt.“

Während Ehrmann in der Satzung des DB AG-Konzerns lediglich die Aufnahme einer restriktiveren Formulierung für Auslandsengagements empfiehlt, sollen fünf Punkte in die Satzung der DB Netz AG aufgenommen werden. Während heute im sogenannten „Unternehmensgegenstand“ nur Tätigkeiten genannt sind, soll künftig klar die Rolle als „Dienstleister, der auf Basis seiner Dienstleistungen zum Erfolg seiner Kunden im Personen- und Güterverkehr beiträgt“ ebenso explizit fixiert werden wie die „qualitäts- und preisgewichtete Steigerung der Verkehrsleistung (…sowie) die Zufriedenheit der Kunden (… und) die Gewinnung weiterer Kunden“ als Beurteilungskriterien. Die bisher nur vom DB-Konzern besetzte Arbeitgeberseite des Aufsichtsrates soll künftig drei Plätze für externe Kunden vorsehen.

Nur auf den ersten Blick überraschend rät Ehrmann davon ab, allgemeine volkswirtschaftliche Ziele in den Unternehmenssatzungen „draufzusatteln“, da sie von den Unternehmen in der Regel nicht beeinflusst werden können. Ehrmann: „Volkswirtschaftliche Ziele sind oberhalb der Unternehmensebene angesiedelt – sie können nur vom Bund als Gesetzgeber und Infrastrukturinvestor wirksam verfolgt werden. Die Zielbestimmung in der Satzung eines wirtschaftlich agierenden Unternehmens muss dagegen die wirtschaftlichen Ziele seines Eigentümers und die Orientierung am Kundeninteresse in den Mittelpunkt stellen.“ Zurzeit sei nicht einmal klar, wer denn die Einhaltung der bisher in der Regel von der DB selbst formulierten und vielfach verfehlten Ziele kontrolliere. An dieser Stelle sieht der Gutachter keine Alternative zu einer staatlichen Stelle. Neben dem Bundesverkehrsministerium kommt für ihn auch ein neues und hochspezialisiertes „Bundesamt für Schieneninfrastruktur“ in Frage, das wiederum dem Ministerium, dem Parlament und dem Bundesrat berichten und von dort strategische, und zwar verkehrspolitische und unternehmerische Aufträge entgegennehmen soll. Vorbild könnten die gesetzlichen Regelungen und deren Durchsetzung durch das „Bundesamt für Verkehr“ in der Schweiz sein. Ehrmann wörtlich: „Es kann nicht darum gehen, wie zu Großvaters Zeiten eine Bundesbahn durch Ministerialbeamte oder Minister steuern zu lassen. Es muss gelingen, eine moderne und fachkundige Aufsicht über das Management der anbieterneutralen Schieneninfrastruktur zu etablieren, die einen Beitrag zur Erreichung der verkehrspolitischen Ziele des Bundes leisten kann.“

Kerkeling sagte in Berlin abschließend: „Wir warnen die Koalition davor, eine Wünsch-Dir-was-Formel in den Satzungen des Konzerns zu verankern. Auch unter dem Konzerndach müssen die Unternehmen unterschiedlich behandelt werden: solche, die im Wettbewerb mit anderen um Verkehre stehen und jene, die übertragene staatliche Aufgaben übernähmen, also die Infrastrukturunternehmen.“ Der Ehrmann-Vorschlag habe wegen der Debatte über eine zweite riesige Eigenkapitalspritze des Bundes an den DB-Konzern eine besondere Aktualität. Unabhängig davon, wie groß die corona-bedingten Ausfälle nun wirklich sind und ob der Bund mit seiner Fürsorge für die Staatsbahn Gefahr läuft, eine große Flurbereinigung in der Landschaft der Wettbewerbsbahnen auszulösen, dürfe Geld jedenfalls nur dann fließen, wenn der Bund vorher die DB Satzungen auf den aktuellen Stand gebracht hat. Kerkeling: „Eine gut gemachte Satzungsänderung kann tatsächlich einen Fortschritt für die gesamte Schienenbranche bedeuten.“

Das Gutachten, eine Zusammenfassung, die derzeitigen Satzungen des DB-Konzerns und der DB Netz AG sowie eine Aufzeichnung des Pressegesprächs vom heutigen Tag finden sich auf der NEE-Webseite www.netzwerk-bahnen.de.

Quelle: NEE; Foto: Deutsche Bahn AG / Volker Emersleben