Die Debatte um die Entwidmung von Bahnliegenschaften sorgt für Spannungen zwischen Wohnungsbau, Stadtentwicklung und Schieneninfrastruktur. Eine Sachverständigenanhörung im Verkehrsausschuss des Bundestages offenbarte die unterschiedlichen Positionen zu einem von der CDU/CSU-Fraktion eingebrachten Gesetzentwurf. Dieser fordert eine Rückkehr zur alten Regelung des Paragrafen 23 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG), die Ende 2023 geändert wurde.

 

Hintergrund: Was hat sich geändert?

Mit der Novelle von Paragraf 23 AEG ist eine Entwidmung von Bahnflächen nur noch bei einem „überragenden öffentlichen Interesse“ möglich. Das bedeutet, dass Flächen, die nicht mehr für den Bahnbetrieb benötigt werden, nicht ohne Weiteres für andere Zwecke freigegeben werden können. Laut CDU/CSU hat diese Verschärfung dazu geführt, dass das Eisenbahn-Bundesamt (EBA) über 150 Anträge auf Freistellung abgelehnt hat. Ein prominentes Beispiel ist das Wohnungsbauprojekt Stuttgart Rosenstein, bei dem nach dem Umbau des Hauptbahnhofs Flächen für bis zu 5.700 Wohnungen freigemacht werden sollten.

 

Befürworter der neuen Regelung: Schutz der Schieneninfrastruktur

Joachim Berends, Vorstand der Bentheimer Eisenbahn AG, betont, dass die Regelung notwendig ist, um Zweckentfremdungen von Bahngrundstücken zu verhindern. Solche Flächen könnten für zukünftige Kapazitätserweiterungen oder Reaktivierungen von Bahnstrecken benötigt werden. Berends warnt, dass frühere Entwidmungen häufig dazu geführt haben, dass reaktivierbare Strecken überbaut wurden.

 

Gegner der Verschärfung: Wohnungsbau leidet

Ute Bonde, Senatorin aus Berlin, kritisiert, dass die Verschärfung viele Bauprojekte blockiert. Sie verweist auf Berlins wachsenden Wohnraumbedarf bis 2040 und fordert eine ausgewogene Abwägung zwischen den Interessen der Schieneninfrastruktur und dem Wohnungsbau. Auch Hilmar von Lojewski vom Deutschen Städtetag sieht Stadtentwicklungsprojekte gefährdet und spricht von einem „Fiasko“, wenn notarielle Kaufverträge durch das EBA blockiert werden.

Stuttgarts Bürgermeister Peter Pätzold sieht das Wohnungsbauprojekt Stuttgart Rosenstein in Gefahr, das in Verbindung mit dem Großprojekt „Stuttgart 21“ steht. Die Verschärfung behindere zentrale Planungen und widerspreche den Versprechen, die bei der Volksabstimmung 2011 gemacht wurden.

 

Stuttgart 21: Symbol eines Konflikts

Der Konflikt um die Entwidmung spitzt sich am Beispiel Stuttgart 21 zu. Kritiker wie Werner Sauerborn vom Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 sehen im Gesetzentwurf der CDU/CSU eine Rückkehr zur „fatalen Praxis der Entwidmungen“, die nachhaltige Verkehrspolitik untergräbt. Dagegen betonen Wohnungsbauvertreter wie Rolf Gaßmann vom Deutschen Mieterbund die Notwendigkeit, nach jahrzehntelanger Planung die freiwerdenden Flächen sinnvoll zu nutzen.

 

Fazit: Ein Balanceakt

Die Debatte zeigt den schwierigen Balanceakt zwischen der Sicherung der Schieneninfrastruktur und der dringenden Schaffung von Wohnraum. Während die Befürworter der neuen Regelung auf die Zukunft des Bahnverkehrs setzen, fordern Gegner eine flexiblere Handhabung, um dringende städtebauliche Projekte zu ermöglichen. Klar ist: Ohne eine ausgewogene Lösung bleiben beide Seiten auf Kollisionskurs.

 

Quelle: Deutscher Bundestag
Foto: Arnim Kilgus