Generalsanierung auf der Langstrecke
Die Vision war klar, das Ziel ambitioniert: Bis 2030 wollte die Deutsche Bahn 40 besonders belastete Strecken umfassend modernisieren – in Rekordzeit, unter Vollsperrung, dafür mit dem Versprechen: Danach herrscht jahrzehntelang Ruhe im Netz. Doch wie so oft bei Großprojekten im Verkehrswesen holt die Realität die Planung ein – und zwingt nun zur Kurskorrektur. Statt einem Abschluss bis 2031 spricht die DB aktuell von einer Streckung der Generalsanierung bis Mitte der 2030er Jahre.
Weniger ist mehr – oder doch nur weniger?
Künftig sollen nur noch vier bis fünf Korridore pro Jahr saniert werden, ursprünglich waren bis zu neun vorgesehen. Die Begründung: Die Bauwirtschaft stößt an ihre Kapazitätsgrenzen, Umleiterstrecken fehlen, betriebliche Belastungen sind zu hoch. Die Fachverbände und Eisenbahnunternehmen hatten früh vor einem zu hastigen Vorgehen gewarnt – jetzt bekommen sie recht. „Die ursprüngliche Zielmarke 2030 war politisch motiviert, nicht fachlich“, kommentiert Neele Wesseln vom Verband DIE GÜTERBAHNEN treffend. Die Bahn hat reagiert – spät, aber letztlich mit Augenmaß.
Realismus statt Symbolpolitik
Die Generalsanierungen sind ein politisches Prestigeprojekt – gestartet unter Minister Volker Wissing, fortgeführt nun unter CDU-Verkehrsminister Patrick Schnieder. Dessen Aussage, man halte „am Grundkonzept fest“, kombiniert mit der Frage, „ob bis zu neun Streckensanierungen in einem Jahr realistisch“ seien, offenbart: Auch im neuen Haus wird nun pragmatischer gedacht. Der Blick auf den Spagat zwischen Netzausbau, Bauwirtschaft und Fahrgastinteressen wird schärfer.
Denn was als zukunftsweisendes Modernisierungsprojekt gedacht war, bedeutete schon bisher vor allem eines: Belastung. Monate lange Vollsperrungen, Umleitungen mit langen Fahrzeiten im Fern- und Güterverkehr, Ersatzverkehre im Regionalverkehr. Die Riedbahn machte 2023 den Anfang, in diesem Jahr trifft es Hamburg–Berlin – beides Korridore mit enormer strategischer Bedeutung. Klar ist: Jeder einzelne Korridor reißt tiefe Wunden ins Betriebsgeschehen.
Zielkonflikt Pünktlichkeit: Sanieren für den Takt
Der Druck, das marode Netz schnell zu ertüchtigen, bleibt dennoch bestehen. Verspätungen, Zugausfälle, Störungen – das alles ist längst nicht mehr nur Fahrgastärgernis, sondern systemrelevantes Problem für den Schienenstandort Deutschland. Die DB verspricht, mit jedem fertiggestellten Korridor eine nachhaltige Verbesserung von Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit. Bis 2027 soll der Fernverkehr wieder eine Quote von 75 bis 80 Prozent erreichen. Der Fahrgastverband Pro Bahn zweifelt: „Auch das ist ein ambitioniertes Ziel“, so Detlef Neuß.
Kritik aus der Opposition: Verlangsamung trotz Sondervermögen
Politischer Gegenwind kommt ausgerechnet von jenen, die das Sondervermögen Infrastruktur im Bundestag mitverabschiedet haben. Die Grünen-Abgeordnete Paula Piechotta etwa kritisiert die Streckung der Maßnahmen scharf: „Mehr Geld, weniger Sanierung?“ Ein berechtigter Vorwurf? Ja und nein. Geld allein saniert keine Schienen – es braucht Baukapazität, kluge Planung, und koordinierte Betriebsführung. Doch Piechottas Einwand zeigt: Die Bahn und die neue Bundesregierung müssen nun deutlich machen, wie sie das Netz retten wollen, wenn der Weg länger wird.
Korrektur mit Kalkül
Die Generalsanierung war nie ein Sprint. Dass sie nun endgültig als Langstreckenlauf begriffen wird, ist folgerichtig – auch wenn es wehtut. Für die Branche bedeutet das Aufatmen: mehr Planungssicherheit, besser abgestimmte Umleiterkonzepte, Entlastung für die Bauwirtschaft. Für Fahrgäste und Güterkunden allerdings heißt das auch: Die Durststrecke verlängert sich. Noch mindestens ein Jahrzehnt Baustellenrealität – für das Versprechen eines besseren Netzes in der Zukunft.
Ob dieses Versprechen eingehalten wird, bleibt die zentrale Frage. Denn Zeit allein saniert kein System. Es braucht mehr als Ankündigungen: Es braucht ein gemeinsames Verständnis dafür, dass eine funktionierende Schiene kein politisches Projekt, sondern ein infrastrukturelles Muss ist.
dt
