Interview mit Annette Sawade zum Tag gegen Lärm 2016: “Das Problem ist auch, dass Umgebungslärm ein Dauerbegleiter ist”
Am 27. April 2016 fand der Tag gegen Lärm statt. Annette Sawade (SPD), seit 2012 Mitglied des Deutschen Bundestages und in ihrer Fraktion zuständig für Verkehrslärm sprach mit dem Privatbahn Magazin darüber.
Frau Sawade, heute ist der „Tag gegen den Lärm“. Zunächst: Wer legt eigentlich fest, welcher Tag und zu welchem Thema ausgerufen wird? Und: Was wäre – abgesehen vom Tag gegen den Lärm – Ihr persönliches Motto, das mit einem eigenen Gedenktag bedacht werden sollte?
Der „Tag gegen Lärm – International Noise Awareness Day“ findet seit 1998 in Deutschland statt und ist eine Aktion der Deutschen Gesellschaft für Akustik (DEGA e.V.). Das Ereignis ist alljährlich im April und zeitlich mit dem „International Noise Awareness Day“ in den USA abgestimmt. Der Tag gegen Lärm ist eine gute Gelegenheit, Menschen hinsichtlich der Gefahren und Beeinträchtigungen durch Lärm zu sensibilisieren. Er ist aber ebenso eine Mahnung an die Politik und andere Akteure, sich resolut und mit konkreten Maßnahmen des Themas anzunehmen.
Ich persönlich würde mir einen jährlich wiederkehrenden Tag für gegenseitige Achtung und Wertschätzung wünschen.
Abgesehen von Ohrensausen – oder im schlimmsten Falle Gehörverlust: Was sind die häufigsten oder unterschätzten Beeinträchtigungen im Zusammenhang mit Lärm?
Hörschäden sind ja schon extreme Beeinträchtigungen und greifen die Gesundheit und Unversehrtheit des Körpers massiv an.
Darüber hinaus führt aber Dauerlärm – und als solcher ist ja Verkehrslärm zu bezeichnen – zu psychischen Problemen, Herz-Kreislauf-Störungen und Ähnliches. Das Problem ist auch, dass Umgebungslärm ein Dauerbegleiter ist. Das heißt, man bemerkt ihn möglicherweise irgendwann nicht mehr, aber selbstverständlich wird er vom Körper und vom Gehirn weiter wahrgenommen – und negativ abgespeichert.
Sie sind seit bald drei Jahren in der SPD-Bundestagsfraktion für das Thema Lärm auf der Straße und Schiene zuständig – ist die Welt Ihrer Meinung nach lauter geworden?
Wenn man sich die Entwicklung der Welt – und im Kleineren: unserer Gesellschaft – allein in den letzten 50 Jahren anschaut, hat der Verkehr auf der Schiene, auf der Straße und in der Luft massiv zugenommen. Verkehr ist, bis jetzt zumindest, laut – mehr Verkehr bedeutet also auch eine Zunahme des Lärms. Was unsere Welt derzeit ausmacht, ist die Mobilität. Mit all den Vorteilen, aber eben auch mit all den Nachteilen. Für mich ist es aber auch Ansporn, politisch aktiv gegen Lärm vorzugehen. Die Technik entwickelt sich auch in Sachen Lärmschutz weiter, wir brauchen da mehr Mut und auch Mittel um diese zum Einsatz zu bringen.
Was hat sich in den letzten dreißig Jahren in punkto Lärmschutz getan?
Forschung ist ein steter Prozess und wächst mit ihren Herausforderungen – das heißt, es hat sich natürlich viel getan. Zum Beispiel wurde vor 30 Jahren der Lärmschutz noch nicht so in Bauprojekte, Schienenstrecken, etc. mit einbezogen, weil er gesellschaftlich einfach noch kein akutes Thema war. Deshalb wurde damals noch auf passiven Lärmschutz gesetzt, also auf Schutzmaßnahmen wie Isolierfenster, fernab von der Lärmquelle. Dieser Schutz beseitigt aber keinen Lärm, er mindert ihn nur in einem eng gesteckten Rahmen. Inzwischen geht es immerhin um Lärmbeseitigung an der Quelle: am Güterwagen – neue Bremsblöcke, an der Lokomotive, an der Schiene – besserer Schliff, an der Fahrbahn -leiserer Belag. Dieser aktive Lärmschutz ist natürlich viel effizienter.
Gibt es nennenswerte technische Innovationen, die den Schienenverkehr leiser machen?
Es gibt eine ganze Reihe von technischen Innovationen, die zum Lärmschutz eingesetzt werden. Derzeit werden z.B. bis 2020 in Deutschland alle Güterwagen ausgetauscht oder umgerüstet, um mit moderner Technologie leiser zu fahren. Dabei geht es meist um die Bremstechnik, die so genannte LL-Sohle und K-Sohle.
Sie erarbeiten gerade ein Gesamtkonzept gegen Schienenlärm. Welcher Punkt oder Aspekt ist Ihrer Ansicht nach am Dringendsten?
Es ist zuerst einmal erforderlich, die Schwachstellen bisheriger Maßnahmen zu identifizieren, die Zuständigkeiten zu bündeln, Schulterschlüsse zu erwirken und dann die Forderungen zu formulieren. Der Lärmschutz ist so komplex geregelt, dass man schnell nicht mehr durchblickt. Umwelt versus Verkehr, Deutschland versus Europa, Straße versus Schiene, … So funktioniert es nicht! Nur miteinander und verzahnt wird ein Schuh draus.
Zu den wichtigsten Forderungen gehört:
- Endlich den Gesamtlärm anstatt nur einzelne Lärmquellen ins Visier zu nehmen;
- Den Lärm konsequent an der Quelle zu beseitigen – also gar nicht erst entstehen zu lassen. Güterwagen umzurüsten ist das Eine, aber Lokomotiven und Personenzüge sind ebenso miteinzubeziehen;
- Das Jahr 2020 als eine Etappe, aber keinesfalls als Ziel anzusehen. In den nächsten vier Jahren darf der Druck auf die Güterwagenbetreiber nicht nachlassen, um die Halbierung des Schienenlärms zu erreichen. Allerdings müssen die (europäischen!) Anstrengungen auch weit darüber hinausgehen;
- Lärmschutz erfordert Lärmforschung und -messung. Dafür muss Geld in die Hand genommen werden.
- Die Fehler aus der Vergangenheit nicht zu wiederholen. Die Öffentlichkeit muss aktiv einbezogen und ihre Belange gehört werden.