Es ist kein Geheimnis: Die Schiene leidet seit Jahren unter einem akuten Fachkräftemangel. Der wird durch die steigende Bedeutung der Branche, die schließlich dem nachhaltigen Verkehrsträger der Zukunft zuarbeitet, noch verschärft. Die Politik ist in Zugzwang.

Dabei sehen die Zahlen auf den ersten Blick gar nicht so schlecht aus: Laut Statista ist die Zahl der Beschäftigten im deutschen Eisenbahnmarkt seit 2010 um 21 Prozent von 138.000 (Vollzeit­äquivalente) auf 167.000 (2019) gestiegen. Allein die deutsche Bahnindustrie verzeichnet seit der Jahrtausendwende einen Zuwachs von rund 20.000 Beschäftigten. 2018 gab es in Deutschland rund 1500 mehr Schienenfahrzeug­führer als im Jahr zuvor.

Doch das alles reicht nicht, um dem wachsenden Verkehrsträger Genüge zu tun. Allein die Deutsche Bahn AG (DB) suchte 2019 immer noch 22.000 neue Mitarbeiter, davon etwa 10 Prozent Lokführer. Offene Lokführer-Stellen werden im Schnitt erst nach 200 Tagen besetzt, damit sind Lokführer nach ­einer Analyse von Daten der Bundesagentur für Arbeit durch die Allianz pro Schiene die gefragtesten Fachkräfte: Mit nur 25 arbeitssuchenden Lokführern auf 100 offene Stellen sind sie noch rarer als Altenpfleger. Ein bundesweites Problem, das auch die Fahrgäste zu spüren bekommen: Viele Züge fallen aus, andere sind überfüllt. Denn durch den Personalmangel kommt es zu Engpässen. Weil auch Triebfahrzeugführer fehlen, sind die Züge oft zu kurz, es gibt schlicht keine Kapazitäten zum Rangieren und Koppeln.

Die dadurch entstehende Unzufriedenheit schadet dem Image der Schiene. Dabei muss sie weiter in rasantem Tempo wachsen und akzeptiert werden, wenn die Klimaziele eingehalten werden wollen. Ganz zu schweigen davon, dass keine Branche wachsen kann, wenn das Know-how fehlt.

Gleichzeitig ist der Fachkräftemangel aber auch ein klares Zeichen für den Erfolg der Schiene. Leider wächst sie so erfolgreich, dass der Nachwuchs fehlt.

Sichere Plätze, freie Wahl

Verwunderlich, verspricht die aufstrebende Branche doch sichere Arbeitsplätze: Die Arbeitslosenquote bei Lokführern liegt unter einem Prozent. Denkbar, dass viele von unregelmäßigen Arbeitszeiten – auch an Wochen­enden und Feiertagen – abgeschreckt werden. Dabei ist man aber während der Arbeit relativ frei. Zudem können sich Bewerber auf dem derzeitigen Markt ihren Arbeitsplatz und Arbeit­geber quasi frei wählen – gute Konditionen gibt es beinahe überall. Lokführer verdienen rund 45.000 Euro im Jahr, haben derzeit zu 100 Prozent unbefristete Verträge und werden gewerkschaftlich vertreten. Die Gewerkschaft der Lokomotiv­führer (GDL) verweist als Ursache auf mangelndes Personal­management. Die DB habe im Zuge der Privatisierung viel zu wenig Personal eingestellt und ausgebildet, das gelte aber auch für kleinere Privatbahnen. Eine Kalkulation, die sich nun rächt und nur verzögert aufgefangen werden kann. Denn auch wenn junge Menschen einen sicheren Arbeitsplatz auf oder neben der Schiene suchen, müssen sie erst ausgebildet werden. Das braucht Zeit. Allerdings können sich Neu- und Quereinsteiger egal welchen Alters schon in elf Monaten bei diversen Anbietern zum Lokführer ausbilden lassen. Ein Angebot, das mittlerweile auch genutzt wird. Auf den kommenden Seiten finden sich ­einige Beispiele.

Politik muss handeln

Allein in Niedersachsen stieg laut Wirtschaftsministerium die Zahl der Azubi-Lokführer zwischen 2018 und 2019 um 75 Prozent. Ein entscheidender Grund für die Entwicklung ist sicherlich das Qualifizierungschancengesetz. Seit 2019 erlaubt es Eisenbahnverkehrsunternehmen, Interessierte einfacher einzustellen und zu schulen, außerdem werden die Kosten teils von der Bundesagentur für Arbeit getragen. Allgemein ist die Politik gefragt, der Forderung nach der Verkehrswende Taten folgen zu lassen: Der Bundeshaushalt 2020 förderte Aus- und Weiterbildung im Straßenverkehr mit 123 Millionen Euro, der Schienengüterverkehr bekam keinen Cent. dt

Lesen Sie mehr dazu im Spezial des neuen Privatbahn Magazin 2/2021, ab Seite 46

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