Deutschland ist bei Infrastuktur mehr pfui als hui
Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz von SCI Verkehr und Allianz pro Schiene am 12. Juli 2018 in Berlin stellten Maria Leenen (Geschäftsführerin SCI) und Dirk Flegel (Geschäftsführer Allianz pro Schiene) eine Studie zum Bahninfrastrukturvergleich in Europa vor. Es ging um die Frage, welche Staaten wie viele Euro pro Bürger in ihr Netz investieren und wo Deutschland in diesem Vergleich steht. Tatsache ist: Während viele europäische Länder ihre Schienennetze für das künftige Verkehrswachstum ausbauen, steckt Deutschland trotz Rekordinvestitionen immer noch zu wenig Geld in seine Eisenbahninfrastruktur. Im Vergleich zu ausgewählten europäischen Ländern erreicht die Bundesrepublik auch 2017 nur einen der hinteren Ränge im Europa-Invest-Ranking, während wichtige europäische Wirtschaftsnationen auf dreistellige Pro-Kopf-Summen bei ihren staatlichen Investitionen in die Schieneninfrastruktur kommen. Spitzenreiter Schweiz gab 362 Euro pro Bürger aus, gefolgt von Österreich mit 187 Euro pro Einwohner. Schweden investiert 183 Euro pro Bürger, Großbritannien lässt sich sein Netz 165 Euro kosten und die Niederlande wenden 128 Euro auf. Italien gibt 73 Euro für die Ertüchtigung der Schiene aus, während Deutschland mit 69 Euro pro Bundesbürger den Abstand zu potenten Ländern in Europa immer noch nicht aufgeholt hat.
Seit Jahren fließe in Deutschland deutlich mehr Geld in den Straßenbau als in die Schieneninfrastruktur, kritisierte Flege. Dies gelte es zu verändern. Der Bund müsse ab sofort seine Prioritäten auf die Schiene umstellen. Die Mittel dazu: Beschleunigte Planungsverfahren, Digitalisierung und die Ertüchtigung des Netzes für 740 Meter lange Güterzüge, Engpassbeseitigung für den Deutschland-Takt und ehrgeizige Elektrifizierungsprogramme mit Strecken in allen Bundesländern, damit Deutschland 2025 auf einen Elektrifizierungsgrad von 70 Prozent kommt.
Maria Leenen schloss sich der Einschätzung an, dass Deutschland eine Investitionssumme von 80 Euro pro Bürger ins Schienennetz anstreben sollte. „Das reiche Deutschland leistet sich weniger Schiene als viele unserer europäischen Nachbarn“, so Leenen. „Damit bremst Deutschland nicht nur den innerdeutschen Güterverkehr aus, sondern steht auch bei den europäischen Korridoren auf der Bremse.“ Leenen verwies darauf, dass die Schweiz wegen der Streckensperrung in Rastatt 2017 spürbare Einbußen beim Marktanteil des Schienengüterverkehrs zu verkraften hatte. „Wir brauchen in Deutschland dringend mehr Redundanzen im Netz, damit im Störungsfall nicht noch einmal eine Magistrale für ganz Europa blockiert ist“, sagte Leenen.
Dennoch begrüßte die SCI-Geschäftsführerin die jüngsten Weichenstellungen der deutschen Investpolitik. „Wir spüren Rückenwind. Die Botschaft, dass die Eisenbahninfrastruktur jahrelang dramatisch unterfinanziert war, ist bei der Politik angekommen.“ Leenen mahnte zugleich einen gesamthaften europäischen Ansatz beim Ausbau der nationalen Schienennetze an. So hatte der EU-Rechnungshof Ende Juni kritisiert, dass die Hochgeschwindigkeitsnetze der Staatsbahnen oft ein „Flickenteppich“ seien und der grenzüberschreitende Ausbau der Strecken keine Priorität habe. Erst kürzlich habe die Allianz pro Schiene auf den unzureichenden Ausbauzustand der Grenzübergänge im Schienengüterverkehr hingewiesen, sagte Leenen. „Von 57 deutschen Eisenbahn-Grenzübergängen sind lediglich 25 mit einer Oberleitung ausgestattet. Deutschland sollte mit gutem Beispiel vorangehen und die jetzt ins Auge gefassten Engpassbeseitigungen auch grenzüberschreitend mitdenken.“
Grafik: Allianz pro Schiene