Erstmals seit Jahren hat die Deutsche Bahn mit ihrem Infrastrukturbericht 2024 eine positive Nachricht im Gepäck: Der Zustand des bundesweiten Schienennetzes hat sich nicht weiter verschlechtert – eine Entwicklung, die in der Branche als mögliches Signal für eine lang ersehnte Trendwende gewertet wird. Doch Euphorie ist fehl am Platz. Fachverbände und Branchenvertreter mahnen angesichts wachsender Investitionsbedarfe und struktureller Probleme zur Vorsicht.

 

Stabilisierung auf niedrigem Niveau

Mit einer Gesamtnote von 3,00 (Vorjahr: 3,03) zeigt sich der Zustand des deutschen Schienennetzes laut DB InfraGO leicht verbessert. Insbesondere das Flächennetz abseits der hochfrequentierten Korridore schneidet mit einer Note von 2,96 besser ab als die Hauptachsen. Die Bahnhöfe konnten sich ebenfalls leicht verbessern – von 3,09 auf 3,03.

Dr. Philipp Nagl, Vorstandsvorsitzender der gemeinwohlorientierten DB InfraGO, spricht von einem “Meilenstein”: „Wir haben die Verschlechterung des Zustands unserer Infrastruktur gestoppt“, so Nagl. Dass das Rekordbauvolumen von 19,6 Milliarden Euro Wirkung zeigt, sei laut DB der Beweis für die Wirksamkeit der neuen Finanzarchitektur. Künftig sollen Investitionen verstetigt werden – unter anderem mithilfe des beschlossenen Sondervermögens.

 

Zahlen und Erfolge

Der Bericht basiert auf der Bewertung von über 380.000 Infrastrukturanlagen im Netz. Zu den größten Fortschritten zählt die Generalsanierung der Riedbahn, wo sich die Zustandsnote für relevante Anlagen von 4,20 auf beeindruckende 1,52 verbesserte – ein Paradebeispiel für zielgerichtete Großmaßnahmen.

Im vergangenen Jahr modernisierte die DB rund:

  • 2.000 Kilometer Gleise,
  • 1.800 Weichen,
  • 120 Brücken,
  • 3.500 Stelleinheiten der Leit- und Sicherungstechnik,
  • sowie über 870 Bahnhöfe.

Auch beim Konzept der „Zukunftsbahnhöfe“ wurden an 113 Stationen sichtbare Verbesserungen erzielt, etwa bei Barrierefreiheit, Fahrgastinformation und Ausstattung.

 

Kritik aus der Branche: Lob mit Vorbehalt

Trotz der dokumentierten Fortschritte bleiben Zweifel, ob es sich tatsächlich um eine Trendwende oder lediglich um ein kurzes Zwischenhoch handelt. Die Allianz pro Schiene etwa spricht von einem „gewaltigen Investitionsstau“, der trotz Rekordausgaben weiter gewachsen sei – auf nunmehr 110 Milliarden Euro. Geschäftsführer Dirk Flege fordert eine verlässliche Finanzierung über einen Eisenbahninfrastrukturfonds: „Der Netzzustand ist in etwa gleichgeblieben. Das ist noch kein Grund für großen Jubel.“

Auch DIE GÜTERBAHNEN zeigen sich zurückhaltend. Geschäftsführer Peter Westenberger lobt die Systematik des Berichts, kritisiert jedoch, dass trotz massiver Investitionen nur der Stillstand des Verfalls erreicht worden sei. Zugleich wachse der Modernisierungsbedarf weiter – allein bei den Bahnhöfen stiegen die erwarteten Kosten um 2,7 Milliarden Euro gegenüber dem Vorjahr.

Ein zentrales Problem bleibt für die Güterbahnen die gestiegene Kostenstruktur: „Die Einkaufspreise und der Aufwand der DB steigen zu schnell. Warum das so ist, bleibt unklar – denn laut Bundesinstitut für Bauwesen hat sich der Preisauftrieb für Bauleistungen insgesamt beruhigt.“

Westenberger fordert daher nicht nur mehr Geld, sondern auch strukturelle Reformen: „Netzsanierung und -ausbau brauchen ein unabhängiges Bundesamt für Schieneninfrastruktur – nach dem Vorbild der Schweiz.“

 

Politik: Unterstützung mit Fragezeichen

Matthias Gastel, Bahnpolitiker von Bündnis 90/Die Grünen, sieht den gestoppten Abwärtstrend als Erfolg, warnt jedoch vor Finanzierungslücken: „Der Wegfall der Mittel aus der Lkw-Maut reißt ein Loch von fünf Milliarden Euro in die Haushaltsplanung.“ Er betont, dass Generalsanierungen wie an der Riedbahn zwar wirksam, aber auch teuer seien – und die Kosten künftig stärker kontrolliert werden müssten.

Der Infrastrukturbericht 2024 markiert zweifelsohne einen Kurswechsel im Umgang mit der Schieneninfrastruktur. Doch die nüchternen Reaktionen der Branche zeigen: Die Trendwende ist ein Etappensieg – kein Durchbruch. Ohne langfristig stabile Finanzierung, straffere Baustellenkoordination und eine Neuausrichtung der Planungs- und Ausschreibungspraxis könnte die vielzitierte Wende rasch verpuffen.

dt

Grafik: DB AG