Die Schlagzeilen um den potenziellen Verzicht der Deutschen Bahn bei der zukunftsweisenden Digitaltechnik ETCS sorgen in der bayerischen Speditions- und Logistikbranche für gravierende Irritationen. Auch wenn die Bahn selbst dementiert, was der SWR über den geplanten und nun in Frage stehenden Einsatz des neuen digitalen europäischen Zugsicherungssystems (European Train Control System) berichtet, „ist es unserer Sicht ein mehr als kritisches Zeichen in Sachen effizienten Bahnverkehrs, dass überhaupt eine Mittelkürzung bei der Digitalisierung des Schienenverkehrs zur Diskussion steht“, so Sabine Lehmann, Geschäftsführerin des LBS – Landesverband Bayerischer Spediteure e.V.

Ohne ETCS würde dem alpenquerenden Verkehr auf der Brenner-Route ein mehr als substanzielles Element fehlen: „Es wird noch Jahrzehnte dauern, bis der Brenner-Nordzulauf fertig ist, in welcher Variante auch immer; alle – Befürworter wie Gegner – kalkulieren eine deutliche Leistungssteigerung auf der bestehenden Strecke ein“, so Lehmann. Hochleistungskapazität brauche Hochleistungstechnik, sowohl im Bestand wie auch im angestrebten Ausbau durch den Brenner-Basis-Tunnel. „Dies gelingt nur, wenn das ETCS schnellstmöglich auf dieser Route zum Einsatz kommt, die ein zentraler Teil des TEN-Korridors ist. Die Implementation einer solch hochentwickelten Technik lässt sich nicht von heute auf morgen umsetzen und wird deshalb schon unter günstigsten Umständen noch etliche Jahre dauern. Jede Verzögerung setzt eine effiziente Entwicklung der Nord-Süd-Schienen-Achse aufs Spiel.“

Über diesen Aspekt hinaus ist aus Sicht des Branchenverbands jede Mittelkürzung bei der Digitalisierung der Bahn – selbst, wenn sie nur diskutiert werden – eine Absage an die dringend erforderliche, zukunftsorientierte Modernisierung des Schienengüterverkehrs „und damit an die Ankunft im 21. Jahrhundert“. Damit wird grundsätzlich auch dessen Nachhaltigkeit in Frage gestellt – und der Verkehrswende sowie dem integralen Ziel „Güter gehören auf die Bahn“ die Grundlage entzogen. Diese politische Forderung wurde nicht zuletzt im Zusammenhang mit der jüngsten Mauterhöhung verstärkt, die einerseits den CO2-Ausstoß im Güterverkehr senken sollte und einen nennenswerten Beitrag des Straßengüterverkehrs zur Stärkung des Systems Schiene implizierte. „Denn: Private Unternehmen zu disziplinieren und ihnen technische Ziele und Fristen zu setzen, während gleichzeitig ein staatsabhängiger Verkehrsträger quasi einen klimapolitischen Freifahrtschein erhält – das passt nicht zusammen.“

„Da auf absehbare Zeit kein physischer Netzausbau großen Stils in Deutschland zu erwarten ist, können die dringend benötigten Kapazitäten nur durch Verdichtung von Verkehren erzeugt werden, um Transporte von der Straße auf die Schiene zu verlagern“, erklärt Lehmann weiter. „Wir haben hier ein prägnantes Beispiel dafür vor uns, wie durch moderne Technik zur Schonung von Ressourcen und effizientem Umweltschutz beigetragen werden kann. „Wenn man denn bereit ist, dies zum obersten Prinzip zu erklären und entsprechende Investitionen sicherzustellen – wie es die Unternehmen unserer Branche schon umsetzen.“

Wenn die angesehene Wirtschaftswoche aus Unterlagen zitiert, in denen es heißt, die Bahn plane „Eine vollständige Neuordnung der Mittel innerhalb des Budgetrahmens der Digitalen Schiene Deutschland“ zugunsten des „Erhalts der Geschäftstätigkeit.“ dann sei dies aus unternehmerischer Sicht eine strategische und umweltpolitische Bankrotterklärung, so der LBS. Während der digitale Wandel in der Speditions- und Logistikbranche inzwischen alle Geschäftsprozesse prägt und massive Investitionen ausgelöst hat, versuche sich ein zentraler Verkehrsträger und Marktpartner der Pflicht zum Wandel zu entziehen. Daher reiche in den Mitgliedsunternehmen, vor allem jenen mit Bahntransporten, die Reaktion auf die Überlegungen bei der Bahn von „enttäuscht“ bis „verärgert“, so Lehmann.

Das Fazit der LBS-Geschäftsführerin: „Es werden immense Summen in den Sanierungsfall Deutsche Bahn gesteckt – eine Sanierung des Schienennetzes ohne gleichzeitigen massiven und schnellen Ausbau der digitalen Infrastruktur wäre der absolute Offenbarungseid. Denn dieser ist für eine umfassende Modernisierung unverzichtbar. Wenn man in einem System Bahn zwar die Hardware auf Vordermann bringt, die erforderliche Software aber beim Stand 1.0 belässt, dann können gleich auch die Heizer der alten Dampfloks wieder reaktiviert werden, die aber nicht Kohle ins Feuer unterm Kessel schippen, schließlich haben wir ja den Kohleausstieg beschlossen. Die heizen dann mit Geldscheinen.“

 

Quelle: LBS
Foto: Deutsche Bahn AG / Dominic Dupont