Pro Bahn: Kritik an Reaktivierungspläne in Sachsen
Während andere Bundesländer, wie z. B. Baden-Württemberg, bereits über detaillierte vollständige Gutachten über mögliche zu reaktivierende Bahnstrecken verfügen, mit der Umsetzung einzelner Reaktivierungsvorhaben begonnen haben und aufgrund der Untätigkeit anderer Länder wie Sachsen massiv Fördermittel abgreifen, legt der sächsische Verkehrsminister nun überhaupt ein erstes Gutachten für Sachsen vor. „Das Gutachten kommt viel zu spät und hätte bereits in der letzten Legislaturperiode erstellt werden müssen. Während hier noch analysiert wird, schöpfen andere Bundesländer bereits die Fördermittel des Bundes aus dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz ab“, ärgert sich die Vorsitzende des Fahrgastverbands PRO BAHN Mitteldeutschland, Anja Schmotz.
„Dafür, dass das Gutachten in Sachsen so spät vorgelegt wurde, würde man ja nun erwarten, dass eine besonders ausführliche und detaillierte Studie vorliegt. Doch das Gutachten ‚besticht‘ durch Unvollständigkeit und Intransparenz im Vorgehen“, äußert Lukas Iffländer, Infrastrukturexperte des Fahrgastverbandes PRO BAHN sein Unverständnis. „Zahlreiche Strecken wurden gar nicht erst berücksichtigt. So fehlen z. B. der Streckenabschnitt Zwotental – Adorf oder auch die komplette Strecke Glauchau – Großbothen, welche nur zwischen Narsdorf und Großbothen untersucht wurde“, so Iffländer. „Nach welchen Kriterien hier eine Vorauswahl getroffen wurde, bleibt ein Geheimnis. Im Musterland Baden-Württemberg hätte man sogar Reaktivierungskandidaten wie Wolkenstein – Jöhstadt untersucht.“ Ebenso fragwürdig bleiben die bei der Erstellung des Gutachtens verwendeten Methoden. So wurde auf Vor-Ort-Termine zur Begutachtung der Strecken ganz verzichtet und bei der Ermittlung der Nutzen wurde die Netzwirkung nicht ausreichend berücksichtigt. Das heißt, es wurden Fahrgastkilometer nur auf den zu reaktivierenden Strecken gerechnet, ohne weiterfahrende Fahrgäste zu Orten außerhalb der betrachteten Strecke einzukalkulieren. „Damit werden die Potentiale kleingerechnet“, fasst Iffländer zusammen.
Kritik ruft auch die Äußerung des Verkehrsministers Dulig hervor, dass es wirtschaftliche Entscheidungen der Zweckverbände waren, die Strecken einzustellen. „Das ist nur halbe Wahrheit. Der Minister verschweigt, dass die damaligen Kürzungen der Mittel für die Zweckverbände durch den Freistaat zu diesen Entscheidungen führten“, stellt Schmotz klar.
Der Fahrgastverband PRO BAHN fordert nun konkrete Schritte. „Die sechs für eine mögliche Reaktivierung ausgewählten Strecken sollten sofort ohne Warten auf weitere Potentialanalysen umgesetzt werden, zumal für einige von ihnen bereits weitere Studien vorliegen“, so Schmotz. Alle restlichen Strecken, auch jene, welche bisher im Gutachten noch komplett fehlen, sollen zudem mit einer wirklich detaillierten Studie und Vor-Ort-Analysen untersucht werden. „Zudem fordern wir einen sofortigen Stopp aller Aktivitäten zu Streckenstillegungen, -rückbauten und -freistellungen wie bspw. für den derzeit in Arbeit befindlichen Planfeststellungsbeschluss zum Streckenrückbau Niedercunnersdorf-Oberoderwitz. Derzeit schafft man so Fakten für die Verhinderung der Verkehrswende in Sachsen.“
Quelle: Pro Bahn; Foto: Pixabay.com