Einsparungen im Bundeshaushalt und schwieriger Markt: Transportleistungen der Güterbahnen sinken

„Wir sehen, dass die Transportleistung im Schienengüterverkehr nach einem zwischenzeitlichen Hoch 2023 eingebrochen ist. Das hat handfeste Gründe: steigende Stromkosten, gestörte Lieferketten, schlechte Qualität der Infrastruktur – und keinerlei Planungssicherheit“, so VDV-Präsident Ingo Wortmann bei der VDV-Jahrespressekonferenz in Berlin. Der Branchenverband des Eisenbahnverkehrs warnt, dass das Ziel des Bundes, den Marktanteil der Güterbahnen auf 25 Prozent in einem insgesamt wachsenden Markt zu steigern, in weite Ferne gerückt ist und sich die Aussichten weiter eintrüben. „Die Branche steht bereit, ihren Anteil zu leisten. Doch ohne den Bund geht es nicht: Der Schienengüterverkehr ist einer der Verlierer im Bundeshaushalt 2024, wichtige Förderungen – Trassen- und Anlagenpreise, NE-Infrastruktur und ETCS – wurden gekürzt. Bei der für die Branche elementaren Einführung des digitalen Zugsicherungssystems ETCS kommt hinzu, dass alle wesentlichen finanziellen, organisatorischen und zeitlichen Fragen offen sind – und infolge der Generalsanierung der Hochleistungskorridore im Schienennetz wettbewerbsverzerrende Effekte auftreten – zulasten der Güterbahnen.“

Die Transportleistung im Schienengüterverkehr (SGV) ist nach Angaben des Branchenverbandes VDV im Jahr 2023 auf 126 Milliarden Tonnenkilometern erheblich gesunken – nach einem Vorjahreswert von 133. Das Marktumfeld sei geprägt von den wirtschaftlichen Auswirkungen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine. Neben den direkten Auswirkungen wie die Störung der Lieferketten und indirekten Treibern, wie die Preise für fossile Brennstoffe, gebe es weitere, sich überlagernde Effekte – etwa die starke Nachfrage nach Kohle- und Getreidetransporten oder die zunehmende Bevorratung von Mineralöl. Die negativen Auswirkungen machen sich nun stärker bemerkbar. „Die Sparmaßnahmen der Bundesregierung treffen den überaus preissensiblen und margenschwachen Schienengüterverkehr daher zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt. Die Unternehmen bekommen so kein glaubhaftes Signal der Planungssicherheit, dass die Bundespolitik hinter ihnen steht“, so Wortmann.

 

Deutschland ohne tragfähige ETCS-Planung

Neben anderen Negativbeispielen ist die Entwicklung bei der Einführung des Zugsicherungssystems ETCS aus Sicht der Branche besonders besorgniserregend: Für diese Modernisierung stehen im neuen Bundeshaushalt 250 Millionen Euro weniger zur Verfügung. Deutschland hatte sich auf EU-Ebene zur Einführung dieses europäischen Standards verpflichtet. Die Branche hofft dabei auf eine höhere Kosteneffizienz geringere Wartungskosten. Zusammen mit der Digitalisierung der Stellwerkstechnik wird zudem ein Beitrag zum Erhalt des Sicherheitsniveaus und zur besseren Ausnutzung der Streckenkapazität geleistet. „Doch Deutschland fehlt eine tragfähige ETCS-Einführungsplanung. Wir unterstützen die Überlegungen des Bundes ausdrücklich, dieses komplexe und für Deutschland so wichtige Modernisierungsvorhaben aktiv per koordinnierender Systemführerschaft zu steuern  und finanziell auszustatten. Nur so können sachgerechte Finanzierungs- und Zeitpläne aufgestellt, nur so können Infrastruktur und Fahrzeuge aller betroffenen Unternehmen mit ETCS ausgerüstet werden“, so Wortmann. Bislang bleibt bei der Ausrüstung von Strecken mit ETCS auch die herkömmliche Zugsicherung parallel erhalten. Doch die im Rahmen der Generalsanierung der Hochleistungskorridore sollen erstmals Streckenabschnitte ausschließlich mit ETCS ausgerüstet werden – mit der Konsequenz, dass ab 2028 alle Eisenbahnen – im Güter- wie Personenverkehr – dort komplett ETCS-fähig sein müssen.“ Um ihre Kunden flexibel bedienen zu können, müssen SGV-Unternehmen auf allen Strecken fahren können, deshalb braucht es ein verlässliches Förderszenario für die Um- und Ausrüstung der Lokomotiven mit ETCS. Andernfalls entstehen den SGV-Unternehmen, vor allem den NE-Bahnen, deutliche Wettbewerbsnachteile, so der VDV: Der Bund stehe als Eigentümer des Schienennetzes in der Pflicht, den Eisenbahnen, die auf dieses Netz angewiesen sind, eine umfassende finanzielle Unterstützung für die Um- bzw. Ausrüstung ihrer Loks mit ETCS zukommen zu lassen, insbesondere, da das Vorhaben Technik aus der öffentlichen Infrastruktur in die Fahrzeuge verlagert. „Andernfalls droht ein Szenario, in dem viele Güterbahnen die ETCS-Strecken nicht mehr befahren können, wodurch der Transport auf der Schiene unattraktiver, komplizierter und teurer – und 25 Prozent Marktanteil des Schienengüterverkehrs illusorisch werden“, so Wortmann

 

ÖPNV-Bilanz 2023: Fahrgastzahlen erholen sich weiter, Kosten bleiben hoch

Nach Berechnungen des Branchenverbands VDV waren 2023 rund 9,5 Milliarden Fahrgäste in Deutschland mit Bussen und Bahnen unterwegs. Damit hat sich die Nachfrage im deutschen ÖPNV nach jahrelangen pandemiebedingten Einbrüchen im vergangenen Jahr weiter erholt. Gleichzeitig blieben im letzten Jahr die Kosten für Personal, Strom und Diesel weiter auf hohem Niveau. 2023 zahlte die Branche im Vergleich zu 2020 im Schnitt 57 % mehr für ihren Strom und 54 % mehr für Dieselkraftstoff. Die Ticketpreise sind hingegen, bedingt vor allem durch das 9-Euro-Ticket und das Deutschland-Ticket, im selben Zeitraum branchenweit um durchschnittlich über 23 % gesunken. Hohe Kosten bei sinkenden Einnahmen stellen die Branche daher vor große wirtschaftliche Herausforderungen.

VDV-Präsident Ingo Wortmann: „Die Menschen nutzen wieder deutlich häufiger den ÖPNV. 2023 war mit Blick auf die Fahrgastzahlen ein Jahr der Erholung, die Nachfrage ist im Vergleich zum Jahr davor um rund 8 % gestiegen. Das ist positiv und eng verknüpft mit der Einführung des Deutschland-Tickets. Auf der anderen Seite bringen die Abonennten des Deutschland-Tickets weit überwiegend keine zusätzlichen Einnahmen. Das sehr günstige Angebot sorgt vielmehr für erhebliche Verluste in der Branche, die durch Bund und Länder ausgeglichen werden müssen. Was uns besonders sorgt, sind die weiterhin sehr hohen bzw. steigenden Kosten im Betrieb, also bei Strom, Diesel und Personal. Die Lücke zwischen Ticketeinnahmen und Kostenentwicklung wird immer größer, so dass der wirtschaftliche Druck auf die Branche extrem zunimmt. Wir brauchen eine ehrliche und umfassende Debatte darüber, was der ÖPNV in Deutschland künftig leisten soll und unter welchen finanziellen Bedingungen er im Stande ist, dies zu tun. Ticketpreise zu minimieren und gleichzeitig das Bus- und Bahn-Angebot maximieren zu wollen, um Klimaschutziele im Verkehrssektor zu erreichen, wird als Gesamtrechnung nicht aufgehen. Oder zumindest nur mit erheblichen zusätzlichen Investitionen durch Bund und Länder.“

 

Rund elf Millionen Deutschland-Tickets, große Zufriedenheit der Fahrgäste

Die Branche wertet den durch das Deutschland-Ticket erreichten Fahrgastzuwachs als Erfolg und sieht noch weiteres Wachstumspotenzial. Bei den inzwischen rund elf Millionen Abonnentinnen und Abonnenten des Deutschland-Tickets kommt das Angebot sehr gut an: 95 % der Menschen, die ein Deutschland-Ticket besitzen, sind damit insgesamt zufrieden. „Daran sieht man, dass die Einführung des Deutschland-Tickets der richtige politische Impuls war. Und man sieht, dass die Branche dies mit entsprechender Energie und Professionalität in kurzer Zeit sehr gut umgesetzt hat. Diesen Erfolgsweg müssen wir nun gemeinsam mit Bund und Ländern weitergehen. Die kürzlich getroffene Entscheidung der Verkehrsministerkonfernz zur Preisstabilität des Deutschland-Tickets in diesem Jahr war für die weitere Nachfragesteigerung richtig und wichtig. Für uns als Branche bleibt jedoch die Frage der vollständigen Finanzierung des Tickets weiterhin offen. Das ist nicht gut, denn die Verkehrsunternehmen brauchen längerfristige Planungssicherheit. Aktuell wissen wir nicht, wie lange die zugesagten Finanzmittel des Bundes und der Länder ausreichen, um die Verluste auszugleichen. Und wir wissen nicht, was danach kommt. Wir müssen deshalb schnell miteinander über eine dauerhaft tragfähige Finanzierung des Deutschland-Tickets sprechen. Und wir müssen die Maßnahmen miteinander abstimmen, mit denen aus Branchensicht weiteres Wachstum beim Deutschland-Ticket möglich ist“, so Wortmann.

 

Rund 15 Millionen Deutschland-Tickets als Wachstumsziel

Aus Sicht der Branche können in den kommenden Jahren weitere Wachstumspotenziale beim Deutschland-Ticket gehoben werden, sodass unter entsprechenden Rahmenbedingungen rund 15 Millionen Tickets ein realistisches Wachstumsziel sein können. Dafür benötigt die Branche die Voraussetzungen und politische Beschlüsse, etwa der Preisentwicklung, bei der Verlässlichkeit des Angebots, bei der Verstetigung von rabattierten Job- und Studierendentickets sowie bei der zielgruppenspezifischen Weiterentwicklung und bei der konsequenten Vermarktung des Tickets.

So empfiehlt der VDV für die künftige Preisgestaltung die Entwicklung eines Index, an dem rechtzeitig, transpartent und auf Basis tatsächlicher Preis- und Kostenentwicklungen der monatliche Preis des Deutschland-Tickets festgelegt wird. „Wir empfehlen die Einrichtung eines Preisentwicklungsindex für das Deutschland-Ticket, damit wir künftig einen klaren, transparenten und verlässlichen Prozess für die Preisfindung haben. Wie bei den meisten Produkten ist es besser, wenn der Preis sich am Markt sowie an allgmeinen Kostenentwicklungen orientiert und nicht an politischen Rahmenbedingungen.

Für die Bürgerinnen und Bürger sollte nicht der Eindruck einer jährlich willkürlichen Preisfestsetzung entstehen, sondern eine nachvollziehbare Entwicklung. Auch maßvolle Preiserhöhungen werden eher akzeptiert, wenn man versteht, warum dies notwendig ist“, erklärt Wortmann. Rekordzahl an Projektanmeldungen im Investionsprogramm des Bundes für Ausbau- und Modernisierung der ÖPNV-Infrastrukturen Das vergangene Jahr hat nicht nur einen deutlichen Zuwachs bei den Fahrgastzahlen gebracht, sondern auch in einem ganz anderen Bereich: Im so genannten Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) haben die Verkehrsunternehmen mehr Infrastrukturprojekte zur Förderung angemeldet als je zuvor. Das Gesetz wurde im Jahr 2020 novelliert und in diesem Zuge finanziell aufgestockt. Dadurch ist inzwischen eine Verdreifachung der angemeldeten Projekte zu verzeichnen. Aktuell sind im GVFG insgesamt 407 Projekte aus den Bereichen „Grunderneuerung“, „Reaktivierung“, „Elektrifizierung“ und „Bahnhöfe, Stationen, Haltestellen“ angemeldet. Ein klares Zeichen einerseits für den dringenden Bedarf an Ausbau- und Modernisierungsmaßnahmen. Und andererseits dafür, dass die Branche sich längst konsequent auf den Weg gemacht hat, durch Baumaßnahmen und Qualitätsverbesserungen mehr Kapazitäten im ÖPNV zu erreichen.

„Wir betonen seit jeher, dass der eigentliche Hebel für einen nachhaltig bessern und leistungsfähigeren Nahverkehr nicht in den Strukturen oder beim Ticketing liegt, sondern bei der Infrastruktur und dem darauf fahrenden Angebot. Dem wurde seitens des Bundes durch die Novellierung des GVFG im Jahr 2020 Rechnung getragen und man sieht jetzt den Erfolg“, so Wortmann. Aus Sicht des VDV wäre es angesichts dieser Rekordzahlen und vieler weiterer förderfähiger Bauprojekte in der Branche, die bereits in Vorbereitung sind, angebracht, die Mittel im GVFG ab 2025 von zwei auf drei Milliarden Euro zu erhöhen. Eine Milliarde zusätzlich sei gemessen am Gesamthaushalt des Bundesverkehrsministers ein relativ geringer Betrag, der daher auch in haushalterisch schwierigen Zeiten umsetzbar wäre. „Die Erhöhung der Fördermittel im GVFG auf drei Milliarden jährlich ab 2025 hätte eine extreme Hebelwirkung, um unsere Infrastrukturen noch schneller und konsequenter mit Blick auf die Erreichung der Klimaschutzziele im Verkehrssektor um- und ausbauen zu können“, so Wortmann abschließend.

 

Eine Präsentation mit den genannten Daten finden Sie hier.

Quelle/Fotos: VDV