Zehn Jahre nach seiner Einführung ist der Pendolino-Hochgeschwindigkeitszug zum Rückgrat des polnischen Hochgeschwindigkeitsverkehrs geworden, hat das Image des Schienenverkehrs im Land verändert und den Weg für die weitere Entwicklung des Hochgeschwindigkeitsverkehrs sowohl in Polen als auch in den Nachbarländern geebnet. Artur Fryczkowski, Commercial Director von Alstom für Polen, die Ukraine und das Baltikum, ist auch Vizepräsident von Alstom in Polen. Er spricht im Interview über die Erfolsgeschichte des Pendolino.


Die Einführung des Pendolino-Zugs vor über einem Jahrzehnt hat die öffentliche Wahrnehmung des Hochgeschwindigkeitsverkehrs in Polen verändert. Können Sie das näher erläutern?

Der Pendolino wurde 2014 in Betrieb genommen. Zuvor verfügte das Land über eine große Flotte älterer EN57-Züge, die für die Fahrgäste nicht besonders komfortabel waren, da beispielsweise die Heizung in den Abteilen entweder zu heiß war oder in den Toiletten gar nicht vorhanden war. Als der Pendolino mit seinem schlanken Design, seiner hohen Geschwindigkeit und seinem erstklassigen Catering-Service eingeführt wurde, war er sofort ein Erfolg. Die Menschen kauften Fahrkarten in Städte und kehrten sofort zurück, nur um den Zug zu erleben. Viele Menschen kamen zum Depot, um zu sehen, wie die Züge gewartet wurden. Die Hauptaspekte, die die Menschen schätzten, waren die Ruhe in den Abteilen und natürlich die Geschwindigkeit: Der Zug ist für eine Geschwindigkeit von bis zu 250 km/h ausgelegt. Von Warschau nach Danzig oder Schlesien in zweieinhalb Stunden – das ist mit dem Auto kaum zu schlagen!

 

Wie haben sich die Passagierzahlen seit der Einführung des Pendolino entwickelt?

Die Polnischen Eisenbahnen hatten Schwierigkeiten, die Passagierzahlen aufrechtzuerhalten, da die alten Züge den Kunden ein schlechtes Fahrerlebnis boten. Vor der Einführung des Pendolino lag die Zahl der Intercity-Passagiere bei etwa 49 Millionen pro Jahr, während sie im letzten Jahr trotz eines Rückgangs während der COVID-Jahre auf 78 Millionen gestiegen ist. Das Ziel für 2030 liegt bei 110 Millionen. All dies ist auf den „Pendolino-Effekt” zurückzuführen! Die Menschen müssen nicht mehr ihr Auto benutzen, sie können sicher mit dem Zug reisen. Sie können arbeiten, essen und bequem sitzen. Für die jüngere Generation ist das Zugfahren im Vergleich zum Autofahren zur Selbstverständlichkeit geworden.

 

Welche Strategie stand hinter dem Aufbau der Pendolino-Wartungsfunktion von Grund auf? Wie hat sie sich im Laufe der Zeit entwickelt und die Wartungspraxis in Polen allgemein beeinflusst?

Unser Vertrag mit PKP bestand aus drei Teilen: Lieferung der Züge, Bau des Depots und 17 Jahre Full-Service, einschließlich der Reinigung der Züge. Das Pendolino-Depot in Warschau wurde von Grund auf neu gebaut, da es in Polen keine Einrichtung für Hochgeschwindigkeitszüge gab. PKP (Polnische Eisenbahn) ist Eigentümer der Flotte und des Depots. Alstom baute das Depot auf dem Gelände der PKP nach dem Vorbild einer ähnlichen Pendolino-Anlage in Italien. Alstom hat hohe Sicherheitsstandards, was sich positiv auf unseren Kunden ausgewirkt hat. Wir haben beobachtet, wie sich die Sicherheitspraktiken von Alstom auf andere Bereiche des Standorts und andere Teile des Netzes ausgeweitet haben. Viele dieser Praktiken sind nun in den Ausschreibungsspezifikationen verankert, sodass die Sicherheitskultur von Alstom nicht nur den Kunden, sondern auch zukünftige Lieferanten beeinflusst hat. Die Art und Weise, wie Alstom die Liefer- und Serviceverträge erfüllt hat, hat ein Betriebsmodell für die PKP etabliert.

 

Was hat zu den hohen Verfügbarkeits- und Zuverlässigkeitsraten des Pendolino geführt?

Kurz gesagt, es liegt an der Organisation und den Werkzeugen. Zunächst organisieren wir das Flottenmanagement für den Kunden. Wir stellen die Züge für den morgendlichen Betrieb zur Verfügung, wodurch wir die Kilometerleistung jedes Zuges staffeln können, was sich auf den Wartungsplan auswirkt. Es kann nicht sein, dass die Hälfte der Flotte zur Wartung aus dem Verkehr gezogen wird, weil alle Züge die gleiche Kilometerzahl zurückgelegt haben. Wir verwalten die Kilometerleistung jedes Zuges so, dass sie für die Wartungspläne optimiert ist, sodass jeder Zug eine andere Kilometerleistung hat und zu unterschiedlichen Zeiten außer Betrieb genommen werden kann.

Zweitens verfügen wir über eine Reihe digitaler Tools für die zustandsorientierte und vorausschauende Wartung, die unsere Serviceaktivitäten unterstützen. An unserem Standort in Warschau verfügen wir beispielsweise über TrainScanner™, die intelligente Datenerfassungslösung von Alstom, die mit Kameras und Infrarot-Scannern die Züge beim Einfahren in das Depot überprüft und Daten zu allen Komponenten erstellt, sodass wir den optimalen Zeitpunkt für den Austausch beispielsweise der Bremsbacken an den Radsatzbremsen kennen. Früher war dies eine manuelle Inspektion, aber die Maschine sieht mehr als Menschen und die Daten sind sehr zuverlässig.

Die vom TrainScanner gesammelten Daten werden in unserer HealthHub™-Lösung analysiert. Diese präzisen Daten über den tatsächlichen Zustand jedes Zuges, kombiniert mit den historischen und aktuellen Daten der Alstom-Flotte, ermöglichen es uns, unsere Wartungsprozesse und -planung zu optimieren. Die Verfügbarkeit liegt nach 10 Jahren Betrieb bei unglaublichen 97 %, und obwohl wir immer strengere Tests durchführen, liegt die Zuverlässigkeit bei 99 %, was die höchste Zuverlässigkeitsrate in Polen ist.

 

Welche wichtigen Infrastrukturinvestitionen sind geplant, um die Kapazität des Hochgeschwindigkeitsbahnnetzes in Polen auszubauen?

Polen hat ein umfangreiches nationales Programm namens CPK (Centralny Port Komunikacyjny) für einen zentralen Verkehrsknotenpunkt in der Mitte Polens, 40 km von Warschau entfernt. Dieser wird ein Dutzend Großstädte mit einem großen Flughafen verbinden, der für 40 Millionen Passagiere pro Jahr ausgelegt ist und dessen Betrieb 2032 aufgenommen werden soll. Darüber hinaus werden im Rahmen dieses Programms Hunderte von Kilometern neuer oder modernisierter Hochgeschwindigkeitsbahnverbindungen, Buslinien und neuer Autobahnen entwickelt.

Es gibt auch Pläne zur Modernisierung des internationalen Verkehrs mit Rail Baltica, das am westlichen Ende mit Warschau verbunden ist und derzeit in Estland, Lettland und Litauen in unterschiedlichem Tempo voranschreitet. Bis 2035 wird sich das Schienennetz in Polen und Europa stark verändern, wobei die Hauptentwicklung in Mittel- und Osteuropa stattfinden wird und nicht in Westeuropa, das bereits gut durch Schienenverbindungen erschlossen ist. Es gibt auch Bestrebungen, Europa mit Multisystem-Zügen zu vernetzen, die verschiedene Spurweiten und Signalsysteme bewältigen können und es den Zügen ermöglichen, mehr internationale Grenzen zu überqueren.


Als Teil der innovativen Avelia-Hochgeschwindigkeitsfamilie von Alstom lebt das Erbe des Pendolino unter seinem neuen Namen Avelia Stream weiter. Diese Entwicklung spiegelt das Engagement von Alstom wider, sein Hochgeschwindigkeitsangebot zu verbessern und gleichzeitig den guten Ruf zu bewahren, den sich der Pendolino in Polen aufgebaut hat.

Die nächste Generation von einstöckigen Hochgeschwindigkeitszügen, bekannt als Avelia Stream, baut auf dem bewährten Erfolg des Pendolino auf und repräsentiert die Zukunft der Hochgeschwindigkeitszüge in Europa. Avelia Stream bietet optimale Gesamtbetriebskosten, Einsparungen bei den Lebenszykluskosten und unvergleichlichen Fahrgastkomfort. Er ist für den Betrieb mit 200–300 km/h ausgelegt, verfügt über eine hohe Modularität und Flexibilität und lässt sich vollständig an die spezifischen Bedürfnisse jedes Kunden anpassen.

Artur Fryczkowski, Commercial Director von Alstom für Polen, die Ukraine und das Baltikum, ist auch Vizepräsident von Alstom in Polen.
Er ist seit über 13 Jahren im Unternehmen tätig und begann seine Karriere mit Polens erstem Hochgeschwindigkeitsbahnprojekt Pendolino.
Bevor er zu Alstom kam, war er 10 Jahre lang in der Bahnbranche tätig und arbeitete auf der Betreiberseite bei DB Cargo.